Von Torsten Scheer
Magdeburg • Zahlen sprechen eine nüchterne Sprache. 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden in Sachsen-Anhalt für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben ausgegeben. In Baden-Württemberg, listet der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg auf, seien es 4,4 Prozent, in Bayern 4,5. „Über absolute Summen rede ich gar nicht“, muss sich Michael Schenk zurückhalten. „Da würde mir noch schummriger werden."
Der Vergleich bringt das Thema des „5. VDI-Forums Wirtschaft Wissenschaft" am Dienstagabend im Magdeburger Gesellschaftshaus, zu dem der Landesverband des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) rund 150 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Kultur geladen hatte, auf den Punkt. Hat Sachsen-Anhalt die Kraft, den Rückstand aufzuholen? Und wenn ja, wie? Eine Barriere, geben Wirtschaftsstaatssekretär Marco Tullner und der Geschäftsführer des Dessauer AEM-Elektromotorenwerks, Reiner Storch, zu bedenken, sei die Wirtschaftsstruktur des Landes mit ihren vielen kleinen, meist nicht mehr als 20 Mitarbeiter starken Unternehmen. „Diese müssen täglich am Markt bestehen. Das bindet enorme Ressourcen", ist für Tullner ein Grund, warum sich viele Mittelständler im Gegensatz zu Großunternehmen keine eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen leisten können. „Wir müssen uns vor allem auf das Tagesgeschäft konzentrieren", pflichtet ihm Storch bei. „Für bestimmte Phasen in der Motorenentwicklung brauchen wir einfach Partner.“
Diesen hat AEM im virtuellen Entwicklungs- und Trainingszentrum (VDTC) am Magdeburger Fraunhofer-Institut gefunden. Dort können die Motoreningenieure über ein speziell entwickeltes Simulationsprogramm in einer dreidimensionalen Umgebung das Verhalten von Motoren der Zukunft etwa bei der Wärmeverteilung oder dem Geräuschpegel bereits in der Planungsphase durchspielen und Störfaktoren eliminieren bevor sie überhaupt entstehen. „Auch daraus entsteht unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit“, gibt der AEM-Chef ein Beispiel dafür, wie aus der Zusammenarbeit von Unternehmern und Wissenschaftlern konkreter Geschäftserfolg werden kann.
Diese Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft ist es, in der auch der Geschäftsführer des Innovations- und Gründerzentrums Magdeburg, Jürgen Ude, und Rüdiger Bähr von der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität die große Chance sehen, unter schwierigen Rahmenbedingungen Wachstum zu erzeugen.
Auf dem Weg liegen noch viele Steine
Noch aber liegen auf diesem Weg viele Steine, wie Fraunhofer-Chef Schenk deutlich machte. „Warum", fragt er, "entwickeln wir im Land Kunststoffe, haben aber keinen Lehrstuhl, der sich mit kunststoffverarbeitenden Maschinen beschäftigt? Warum produzieren wir Granulate, kümmern uns aber nicht um Veredlungsstrategien? Hier springen wir zu kurz."
Schenk gibt den Konkurrenzkampf über rein manuelle Arbeit aufgrund der hohen deutschen Lohnstückkosten verloren. „Wir müssen mit den besten Produktionsmitteln arbeiten", schließt er wieder den Kreis zum notwendigen Aufbau kompletter Wertschöpfungsketten in Sachsen-Anhalt.
Für die Geschäftsführerin des Wolfener Maschinenbauers Maba, Ingrid Weinhold, ist es in diesem Zusammenhang unverständlich, dass der einst im Wirtschaftsministerium angesiedelte Innovations- und Technikbeirat aufgelöst worden ist. Dieser sei ein „hervorragend arbeitendes" Gremium gewesen, das Wissenschaftler, Unternehmer, Verbändevertreter und Politiker beispielsweise in Fragen der Schwerpunktsetzung von Wirtschaftspolitik im Land zusammengeführt und Sachverstand aus der Region genutzt habe.
Der Beirat sei infolge der Neuformierung und der Zusammenlegung der Ressorts Wirtschaft und Wissenschaft in einem Haus und der Vielzahl von Gremien wie andere auch zur Disposition gestellt worden, versucht Staatssekretär Tullner zu erklären. „Ich kann Ihnen aber versichern, dass Ihr Thema in einem neu formierten Gremium wieder zum Tragen kommt", verspricht er.
Gleichwohl Schenk die Wirtschaft und Wissenschaft in ihrem Bemühen, zum Beispiel im automobilen Netzwerk Mahreg gemeinsame Projekte etwa im leichten Automobilbau voranzubringen, „auf einem guten Weg" sieht, glaubt er nicht daran, dass das für eine sich selbst tragende Wirtschaft in Sachsen-Anhalt ausreicht. „Wir brauchen eine viel breitere Forschungsinfrastruktur, die es auch für internationale Unternehmen interessant macht, sich in unserem Bundesland anzusiedeln."
Wie dünn das Eis in dem Punkt hier noch ist, macht Schenk auch daran fest, dass von den vom Bund bisher ausgegebenen Forschungsgeldern zum Thema Elektromobilität in Höhe von 400 Millionen Euro „kein Cent in Sachsen-Anhalt gelandet ist".
Quelle: Magdeburger Volksstimme 29.03.2012
IngPost - Ausgabe 2/2012, Mai 2012