Der Förderverein DOKMitt schließt sein Forschungsprojekt „Zeitzeugenbefragung (Oral History) zur Entstehung und Entwicklung demokratischer Einstellungsmuster nach 1990 im Südraum Leipzig“ erfolgreich ab. Die Ergebnisse der Studie sind in der kürzlich erschienenen Publikation „Als wenn ein guter Kumpel stirbt – Die 1990er Jahre im Nachhall der Erzählungen ehemaliger Bergleute“ zusammengefasst, die über den Verein gegen eine geringe Schutzgebühr erhältlich ist.
Seit September 2017 forschte ein Projektteam des DOKMitt e.V., bestehend aus Tim Rood, Christian Schmidt und Ariane Zabel, zum Fortwirken der Braunkohlenindustriepolitik der 1990er Jahre im Südraum Leipzig. Die „Zeitzeugenbefragung (Oral History) zur Entstehung und Entwicklung demokratischer Einstellungsmuster nach 1990 im Südraum Leipzig“ wurde mit Unterstützung des Programms „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ des Freistaates Sachsen durchgeführt. Das Forschungsprojekt ging der Frage nach, in welchem Maße die Erfahrungen mit dem Strukturbruch nach 1989/90 die politischen Einstellungen der ehemaligen Beschäftigten in der Braunkohlenindustrie des Leipziger Südraums bis heute prägen. Die Ergebnisse der Studie wurden nun in der Broschüre „Als wenn ein guter Kumpel stirbt – Die 1990er Jahre im Nachhall der Erzählungen ehemaliger Bergleute“ veröffentlicht.
Für die Untersuchung wurden ehemalige Beschäftigte der Braunkohlenindustrie in erzählenden Interviews zu den damaligen Umwälzungen sowie zu ihren politischen Einschätzungen der bisherigen und noch kommenden Entwicklungen im Leipziger Südraum befragt. Für alle Zeitzeug:innen bedeutete der politisch, wirtschaftlich und sozial tiefgreifende Umbruch in den 1990er Jahren einen drastischen Einschnitt in ihr bisheriges Berufsleben. Dieser wirkte sich jedoch unterschiedlich auf ihre jeweilige Biografie aus. Das DOKMitt-Forschungsteam ermittelte drei verschiedenen Arten von Umbruchsbiografien, die von einem Abbruch, Aufbruch oder Fortgang des bisherigen Berufslebens geprägt waren. Vor allem Alter und Geschlecht spielten eine entscheidende Rolle für den Erwerbsverlauf der Bergleute nach 1989/90. So gelang der berufliche Aufstieg vor allem gut ausgebildeten Männern, die 1990 jünger als 40 Jahre waren. Die Erwerbsbiografien der weiblichen Befragten, die damals über 50 Jahre alt waren, brachen hingegen allesamt ab.
Die Studie bestätigt die These, dass die 1990er Jahre in den gegenwärtigen Einstellungsmustern und Ansichten der Ostdeutschen bis heute fortwirken. Das Projektteam stellte bei den befragten Zeitzeug:innen einen Zusammenhang zwischen den in den 1990er Jahren gemachten Erfahrungen und Erlebnissen und ihren heutigen politischen Einstellungen zur parlamentarisch-demokratischen Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland fest.
Allerdings zeigt das DOKMitt-Forschungsprojekt auch, dass sich dieser Zusammenhang anders als häufig angenommen äußert. Die Art und Weise, wie sich der Strukturbruch der 1990er Jahre auf die weiteren erwerbsbiografischen Verläufe der Zeitzeug:innen auswirkte, hatte keinen unmittelbaren Einfluss auf ihre politischen Ansichten. Befragte, deren Berufsleben nach 1989/90 abbrach, stehen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung heute weder ablehnender noch zustimmender gegenüber als diejenigen, die ihre Berufslaufbahn fortsetzen konnten oder denen sogar der Karriereaufstieg gelang. In den untersuchten Interviews finden sich sowohl ablehnende als auch zustimmende Aussagen gegenüber der parlamentarischen Demokratie. Eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem bestehenden politischen System konnte das Projektteam nicht ermitteln. Nichtsdestotrotz lassen sich bei allen Befragten und über alle drei Arten von Umbruchsbiografien hinweg eher positive und zustimmende Einstellungen zur Lokal- und Regionalpolitik feststellen, während gegenüber der Bundespolitik und deren Verteter:innen kritische und ablehnende Ansichten überwiegen. Vor allem gegenüber Berufspolitiker:innen und etablierter Parteipolitik besteht ein hohes Maß an Skepsis und Entfremdung.
Das Forschungsprojekt stellte zudem fest, dass fehlende Anerkennung ein zentrales Thema unter den Befragten ist – und zwar in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen. Dieses Empfinden wurde durch die Umwälzungen der 1990er Jahre und die mit diesen zusammenhängenden Erfahrungen hervorgerufen. Es prägt bis heute das politische Selbstverständnis, die soziale Zugehörigkeit sowie die persönliche und kollektive Identität der ehemaligen Beschäftigten der Braunkohlenindustrie im Leipziger Südraum. Sie sehen, dass ihre spezifischen Erfahrungen und Erlebnisse vor und nach 1989/90 im politischen Diskurs nicht berücksichtigt werden. Unabhängig vom tatsächlichen Verlauf ihres weiteren Erwerbslebens fühlen sich die ehemaligen Bergleute deshalb in der Bundesrepublik bis heute häufig als „Bürger:innen zweiter Klasse“.
Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse hat der Förderverein DOKMitt seine „Zeitzeugenbefragung (Oral History) zur Entstehung und Entwicklung demokratischer Einstellungsmuster nach 1990 im Südraum Leipzig“ erfolgreich beendet. Die im Dezember 2020 geplante Abschlussveranstaltung musste aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. DOKMitt möchte die Feierlichkeit inklusive der geplanten Podiumsdiskussion mit Schirmherrin Petra Köpping im Jahr 2021 nachholen. Außerdem wird im Frühjahr 2021 ein ausführlicher Forschungsbericht für das wissenschaftliche Fachpublikum bereitgestellt.
Die Broschüre „Als wenn ein guter Kumpel stirbt – Die 1990er Jahre im Nachhall der Erzählungen ehemaliger Bergleute“ ist gegen eine Schutzgebühr von 3 Euro inkl. Versand beim DOKMitt e.V. erhältlich.
Weiterführende Links:
Über den Förderverein DOKMitt e.V.:
Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen des Projekts „Zeitzeugenbefragung (Oral History)“:
Christian Schmidt, Tim Rood und Ariane Zabel
DOKMitt-Vorstand:
Vorsitzender: Walter Christian Steinbach
stellv. Vorsitzende: Dr. Renate Patz
Schatzmeisterin: Ulrike Kalteich
Schriftführerin: Veronique Töpel
Beisitzer: Prof. Dr.-Ing. Markus Krabbes, Peter Krümmel, Dr. Frank Junge
Weitere Informationen erhalten Sie bei:
Förderverein zum Aufbau des Dokumentationszentrums
IndustrieKulturlandschaft Mitteldeutschland e.V.
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Tel. 0177-4295325
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c/o Walter Christian Steinbach
Siedlung des Friedens 24
04571 Rötha