Herr Kroll, ärgern Sie sich auch über die Preissprünge an Tankstellen?

Kroll: Nein, denn ich kenne die Hintergründe. Der Wettbewerb wird angetrieben von Angebot und Nachfrage und dem Einkaufspreis für Rohstoffe. Wenn der Preis an den Zapfsäulen um einen Cent schwankt, macht das in ganz Deutschland ungefähr 400 Millionen Euro aus. Das ist ein knallharter Wettbewerb, in dem wir als Raffinerie bestehen wollen. TOTAL Raffinerie MitteldeutschlandDie Bundesregierung geht in ihrem Energiekonzept davon aus, dass es bis 2050 nur noch maximal fünf Raffinerien in Deutschland geben wird. Was macht Sie optimistisch, dass Leuna dazugehört?

Kroll: Wir gehören zu den modernsten und effizientesten Raffinerien in Europa. Künftig wird es mehr denn je entscheidend sein, zu vernünftigen Kosten Benzin, Diesel oder Treibstoff für Flugzeuge herstellen zu können - und gleichzeitig den eigenen Energieverbrauch zu senken. Derzeit haben wir in Deutschland 14 Raffinerien, von denen 13 noch produzieren. Diese Kapazitäten wird es so in einigen Jahren nicht mehr geben, da der Absatz von Treibstoffen rückläufig ist. Wir tun aber alles dafür, damit die Raffinerie zu denen gehört, die den Markt auch weiterhin versorgen.

Zu diesen Produkten gehört der Biosprit E 10, den die Mehrzahl der Verbraucher nicht will. Wie hoch ist der E-10-Anteil an der Gesamtproduktion heute? Politik und Wirtschaft hatte mal auf 90 Prozent gehofft.

Kroll: Die Einführung von E 10 war eine Herausforderung und hat alleine unseren Konzern Millionen gekostet. Allerdings hatte es viele Irritationen gegeben: bei Verbrauchern, in politischen Kreisen, bei Automobilclubs. Diese Diskussionen, die oft unsachlich geführt wurden, haben die Menschen verunsichert. Und genau das hat mich gestört. Heute liegt der E-10-Anteil am Otto-Kraftstoff im Total-Konzern bei 15 Prozent. In anderen Mineralögesellschaften ist es sicherlich ähnlich. Fakt ist, dass noch kein E-10-taugliches Auto in Deutschland liegengeblieben ist, weil E 10 getankt wurde.

Pressefoto TotalBekommt E 10 noch die Kurve?

Kroll: 90 Prozent Anteil waren aus meiner Sicht schon ambitioniert, 80 Prozent wären akzeptabel gewesen. Mittelfristig sehe ich einen Spielraum für Steigerungsraten zwischen zehn und 20 Prozent. Es muss sich herumsprechen, dass die überwiegende Mehrzahl E 10 problemlos tanken kann. Das ursprüngliche Ziel von 80 bis 90 Prozent müssen wir aber weit in die Zukunft schieben.

Das Hin und Her - erst mussten sie die Anlagen umrüsten, dann wieder die Produktion von Super hochfahren - hat Ihnen viel Geld gekostet. Wie fällt das wirtschaftliche Fazit der Raffinerie für 2011 aus?

Kroll: Gemischt, zufrieden können wir aber nicht sein. Wir mussten für E 10 zwar keine neuen Anlagen bauen, aber das gesamte Logistiksystem anpassen. Zum Glück hatten wir uns in Leuna gedanklich darauf vorbereitet, dass E 10 doch nicht so durchstartet wie erwartet und haben uns als eine der ersten Gesellschaften den Bedürfnissen des Marktes angepasst. Dass 2011 schwierig war, lag nicht nur an E 10. Die internationalen Bedingungen haben sich für Raffinerien nicht positiv entwickelt. Der Erdölpreis ist gestiegen, die Gewinnmargen für die Raffinerie-Landschaft sind aber gesunken.

2010 hatten Sie mit einem Umsatz von 5,7 Milliarden Euro schwarze Zahlen geschrieben. Wie ist die Bilanz im abgelaufenen Jahr?

Kroll: Wir rechnen noch. 2011 haben wir etwa 10,5 Millionen Tonnen Erdöl verarbeitet. In Jahren ohne besondere Aktivitäten waren es zwischen 11,3 und 11,6 Millionen Tonnen. Der niedrigere Durchsatz ist hauptsächlich mit der planmäßigen Abstellung im Juni begründet. Da stand die Raffinerie für Wartung und Instandhaltung drei Wochen lang still und wir haben den Markt in dieser Zeit aus unseren Tankvorräten versorgt.

Sie haben es schon gesagt, das wirtschaftliche Umfeld wird für Raffinerien komplizierter. Die Chemische Industrie bemängelt fehlende Stabilität gerade in der Energiepolitik.

Kroll: Nehmen wir nur den Wassercent. Das sind doch Peanuts im Verhältnis zum Umsatz, könnte man denken. Uns kostet der Wassercent aber 500 000 Euro zusätzlich im Jahr. Und das ist nur einer der Kostenfaktoren, die für uns schmerzlich sind.

Wie etwa der Handel mit CO2-Rechten, der sich 2013 vor allem für all jene verschärft, die durch ihre Produktion viel CO2 emittieren.

Kroll: Für uns gilt ein Benchmarksystem. In Europa wurden 100 Raffinerien verglichen. Die besten zehn Prozent sind der Maßstab. Sie müssen weniger Rechte zukaufen als die anderen. Wir gehören zu diesen Besten, und trotzdem werden auch wir kräftig zuzahlen müssen. Heute kostet die Tonne CO2 an der Börse zwölf bis 15 Euro. Analysten glauben, dass der Preis auf 25 Euro steigen könnte. Unser eigenes Kraftwerk emittiert im Jahr CO2 in einer Größenordnung von einer Million Tonnen. Derzeit müssen wir dafür 20 Prozent Zertifikate erwerben, 2013 sollen es 100 Prozent sein. Das bedeutet für uns Mehrkosten von 20 Millionen Euro im Jahr.

Diese Kosten müssen Sie umlegen, sonst würde es die Raffinerie in den Ruin treiben. Würde Total angesichts der Entwicklung der Energiepreise in Deutschland die Raffinerie heute noch einmal in Leuna bauen?

Kroll: Das ist eine hypothetische Frage. Ich glaube, dass unter den heutigen Voraussetzungen überhaupt niemand mehr eine Raffinerie in Deutschland bauen wird. Das hat weniger mit der aktuellen Gesetzgebung zu tun, sondern eher mit den Erwartungen für die Zukunft, wie viel Erdöl tatsächlich noch für Benzin und Diesel verbraucht wird.

Nun kann man den Kopf in den Sand stecken, oder man richtet sich neu aus. Wie soll und kann die Raffinerie wettbewerbsfähig bleiben?

Kroll: Unser Hauptaugenmerk gilt weiterhin der Produktion von Benzin und Diesel. Aber der Markt ist nicht in Balance. Die Nachfrage nach Benzin sinkt, die nach Diesel steigt. Wir versuchen, so viele Fraktionen wie möglich aus dem Benzin in Richtung Diesel zu verschieben. Das geht aber nur bis zu einem gewissen Teil. Deshalb wollen wir verstärkt auch auf ein anderes Standbein setzen, nämlich die Versorgung der chemischen Industrie mit Rohbenzin. Bereits heute beliefern wir Dow, die aus diesem Rohbenzin Propylen oder Ethylen herstellen, Ausgangsstoffe für verschiedene Produkte. Ich denke, dass sich in Mitteldeutschland noch weitere Möglichkeiten ergeben. Wir sehen darin die Chance, den Rückgang der Kraftstoffproduktion kompensieren zu können.

Wird Total denn weiter in den Standort investieren?

Kroll: Ja, wir wollen in Leuna aktiv etwas für die Zukunft tun, aber noch sind die Investitionen vom Konzern nicht genehmigt. 2014 folgt die nächste große Abstellung. Das wäre ein guter Zeitpunkt. Wir haben Ideen entwickelt, auf die ich im Detail noch nicht eingehen kann, die sich aber unter anderem mit dem Thema Energie befassen. Wir sehen einen Investitionsbedarf von 100 Millionen Euro in größere sowie weiteren 50 Millionen Euro in kleineren Projekten. Das ist eine Menge Geld. Davon würden auch Firmen aus der Region als Auftragnehmer profitieren. Umso wichtiger sind die politischen Entwicklungen. Wir benötigen kalkulierbare Risiken, sonst investiert hier bald niemand mehr.

Sie haben strategisch in der Konzernzentrale gearbeitet, sich dort viel mit Zukunftsfragen beschäftigt. Nun sagen Sie uns doch mal: Wie lange reichen die Vorkommen von Erdöl und Erdgas denn nun wirklich noch?

Kroll: Die Meinungen differieren weit auseinander. Ich bin überzeugt, dass es auch in 100 Jahren noch Erdöl gibt. Die Frage ist aber, zu welchen Kosten kann es unter schwierigen Bedingungen wie etwa in der Antarktis und der Arktis gefördert werden? Ich gehöre zu denen, die an die Innovationsfähigkeit der Menschen glauben. In 30 bis 40 Jahren haben wir vielleicht schon Technologien zur Energieerzeugung, von denen wir heute nicht wissen, dass es sie gibt.

Die Raffinerie engagiert sich auch stark im sozialen Bereich, unterstützt die Kultur wie Sportvereine. Wird das Engagement fortgesetzt?

Kroll: Wir machen weiter, denn wir sehen es als Verpflichtung an. Wir unterstützen jährlich etwa 100 Projekte nicht nur in der Region Merseburg, sondern auch darüber hinaus. Das reicht von der Arbeit mit Schulen über die Merseburger Orgeltage bis hin zum Sachsen-Anhalt-Tag. Wir sind ein Teil der Region. Unsere Arbeiter leben hier. Da gehört es zu einer guten Nachbarschaft dazu, dass man sich sozial auch engagiert.


Quelle: Mitteldeutsche Zeitung 07.02.2012


IngPost - Ausgabe 2/2012, Mai 2012